Nicola Hanke
Ohne Titel, 2008, Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm
Ohne Titel, 2006, Öl auf Leinwand, 60 x 45 cm
Ohne Titel, 2009, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm
Ohne Titel, 2008, Öl auf Leinwand, 60 x 45 cm
Nicola Hanke
Aufgeschichtete Stoffe, Decken, Tücher. Sie sind abgenutzt, jemand hat sie gefaltet, übereinander geworfen, hat seine Dellen in sie hinein gelegt und sie über die Jahre verschlissen. Eine fremde menschliche Hand ist deutlich zu spüren, die Person selbst jedoch ist abwesend. Es ist etwas zugedeckt worden, vielleicht wurde vor kurzem das Bett verlassen, wohlmöglich wurden gerade erst die Decken zurück geworfen oder die Wäsche aufgeschichtet. Das sind die Motive der vorliegenden Arbeiten der Künstlerin Nicola Hanke, deren größtes Interesse Oberfl ächenbeschaffenheiten gilt. Die Künstlerin malt fotorealistisch. Mit höchster Sorgfalt setzt sie jeden Pinselstrich, um eine möglichst detailgenaue Wiedergabe der Stoffl ichkeit, sowohl von festen Baumwolltextilien, als auch von transparenter Spitze oder faserigen Wollfasern zu erreichen. Beim genaueren Betrachten wirkt die Zufälligkeit der Motive durchkomponiert, wenn Muster stets auf monochrome Stoffe treffen und dadurch ein unruhiger Eindruck vermieden wird. Es ist ein Zusammenkommen von Gegensätzen, von unterschiedlichen Stoffmustern und verschiedenen Textilien. Sie begegnen sich und treten in eine Beziehung zueinander. Eine scheinbare Kommunikation entsteht. Sie sind so vielfältig wie die Menschen selbst, die täglich aufeinander treffen, in Kontakt treten, Bindungen knüpfen und miteinander interagieren. Nicola Hanke präsentiert Bekanntes und vor allem Vertrautes, doch es ist nicht alles auf den ersten Blick zu erkennen, wie man zunächst glauben mag. Der enge Bildausschnitt und die extreme Nahsicht erlauben keine weiteren Rückschlüsse auf das Geschehen und lassen das Dargestellte zum Abstrakten tendieren. Die Stoffe sind zum Anfühlen nahe, jedoch sind sie durch das Medium des Bildes so weit distanziert, dass sie nie berührt werden können. Im übertragenen Sinn geht es auch darum, wie nah man etwas oder jemandem kommen kann und durch welche Grenzen man getrennt wird. Es ist nicht zu erkennen, um welche Art Wäsche es sich handelt, was ihr Zweck ist und vor allem, wozu sie genutzt wurde. Denn die Gebrauchsspuren zeugen von einer Geschichte, weisen auf die Vergangenheit und vor allem Vergänglichkeit dieser Stoffe und damit auch ihrer Besitzer hin. Die einstige Schönheit und Makellosigkeit ist längst dahin; woran man hängt wird man irgendwann verlieren, man kann nichts auf ewig halten. Zeit ist ein kostbares Gut. Es ist ein langwieriger Malprozess, unter dem diese Bilder entstehen. Damit wertet die Künstlerin die banalen Motive, diese scheinbar belanglosen Alltagsgegenstände, auf und verleiht ihnen kostbaren Gehalt. Der Betrachterblick bleibt an diesen Kleinoden hängen und verliert sich im Detail. Auch ist nicht klar, ob mit diesen Textilien etwas verdeckt wird, ob sich etwas darunter befi ndet, was die Neugier des Betrachters weckt. Hier wird auf zwei Ebenen verdeckt: zum einen ganz vordergründig durch das Motiv, zum anderen durch die Erzählebene dahinter. Diese Bilder verbergen also mehr als dass sie zeigen und das macht sie so interessant. Die Phantasie des Betrachters wird angesprochen. Man fragt sich unweigerlich, wer diese Textilien mit diesen Farben und Mustern einst auswählte, welche Hand diese Abnutzungsspuren hinterlassen hat, wie die Stoffe über die Jahre gebraucht wurden und die Risse entstanden sind. Die unbekannte Person ist wirklich noch zu spüren, sie scheint gerade erst fort gegangen zu sein und hat die Spuren ihrer Bewegungen in den Stoffen zurück gelassen. Imagination und Interpretation bringen Bedeutung ins Bild. Damit ist die Malerei also in der Lage, etwas über den abgebildeten Gegenstand hinaus zu transportieren. Das Gezeigte geht mit dem Verborgenen eine starke Verbindung ein und dieser Zusammenhang macht die Gemälde spannungsreich. Mit ihren Bildern nimmt Nicola Hanke den Betrachter mit in den intimen, privaten Bereich einer Person, die nicht dargestellt, jedoch durch das Motiv charakterisiert wird. Wenn das Verborgene den Denkprozess anregt, welche Assoziationen sind es im Einzelnen, die beim Betrachter geweckt werden? Die Überlegungen und Auslegungen sind zwar individuell verschieden, die angesprochenen Gefühle sind jedoch universell. Es sind Gedankenverknüpfungen mit Geborgenheit, Behaglichkeit und Intimität. Hinzu kommt ein gewisser Gehalt an Nostalgie. Mit diesen Empfi ndungen verbindet jeder Betrachter subjektive Erfahrungen und Erinnerungen. Die Stoffdrapierung wird zum Bedeutungsträger, die mittels des Nicht-Gezeigten einen Denkprozess über die Person hinter den abgenutzten Stoffen in Gang setzt und zusätzlich persönliche Gefühlswelten anspricht und mit einfl ießen lässt. Angesichts dieser spürbaren Intimität einer fremden Person, in deren Schlafzimmer man als Betrachter eindringt, deren Wäsche in Vergrößerung vorgeführt wird, kommen noch beklemmende Gefühle, aber auch eine natürliche Neugier, hinzu. Zudem bewirkt die durch die Nahsicht hervorgerufene Abstraktion wiederum, dass doch nicht alles preisgegeben wird. Die Thematisierung des Menschen durch seine Abwesenheit, eine wahrlich hohe Kunst.
Nicola Hanke wurde 1977 in München geboren. Zwischen 1998 und 2005 absolvierte sie ihr Studium an der Akademie der bildenden Künste in München in der Klasse von Prof. Gerd Dengler, das sie mit dem Staatsexamen abschloss. Von 2002 bis 2003 war sie Gaststudentin in der Klasse von Prof. Karin Kneffel an der Hochschule für Künste in Bremen. 2005 bis 2007 folgte dort ein Studium der Malerei in der Klasse von Prof. Karin Kneffel, deren Meisterschülerin sie auch war. Nicola Hanke lebt und arbeitet in München und erhielt für ihre Arbeiten bereits den Oberbayerischer Förderpreis für Nachwuchskünstler im Jahre 2004, 2009 das Europäische Kunststipendium Oberbayern, sowie das Stipendium vom DAAD und 2010 die Atelierförderung der Landeshauptstadt München.